4 x Sally. Ein synoptisches portrait von Sally Perel, dem Hitlerjungen Salomon

Foto 2016: Alaa AlKurdi

Das Jüdische Museum Wien zeigte am 5.12.2016 erstmalig und nur für einen einzigen Abend die Videoinstallation 4 x Sally Videoinstallation von Friedemann Derschmidt und Shimon Lev.

Den Künstlern Friedemann Derschmidt und Shimon Lev (Two Family Archives) ist es gelungen, den mittlerweile 91-jährigen Sally Perel für ein gemeinsames Videoprojekt zu gewinnen!

“Hitlerjunge Salomon” Sally Perel
Sally Perel oder ursprünglich Salomon Perel wird 1925 als Sohn eines orthodoxen jüdischen Rabbiners in der deutschen Stadt Peine geboren. Als die Nazis an die Macht kommen, weicht die Familie nach Polen aus. Beim Überfall der Wehrmacht auf Polen schicken die Eltern den kleinen Salomon mit seinem älteren Bruder mit dem Auftrag nach Osten, sich in Sicherheit zu bringen. Der Bruder setzt auf Veranlassung einer jüdischen Hilfsorganisation den kleinen Salomon in einem sowjetischen Waisenhaus ab, wo dieser für zwei Jahre eine Ausbildung im stalinistischen Komsomol geniesst ehe das dritte Reich die Sowjetunion überfällt. Wieder auf der Flucht nach Osten findet er sich plötzlich mit vielen Anderen als Gefangener der Wehrmacht im Kessel von Minsk wieder. Diese beginnt Juden und Kommunisten (Kommissare) sofort zu erschiessen. Wenige Augenblicke vor seiner eigenen Exekution rettet er sich durch eine Notlüge: Er behauptet “Volksdeutscher” zu sein. Wie durch ein Wunder wird ihm geglaubt, während andere jüdische Buben und Männer auf ihre Beschneidung hin gecheckt und erschossen werden. Er wird als Jupp (Josef) zum Maskottchen der Panzereinheit und nimmt als (Russisch-) Dolmetscher ein Jahr am Russlandkrieg teil – bis zu dem Zeitpunkt als der Kommandeur der Truppe ihm anbietet, ihn “nach dem Endsieg” zu adoptieren. Was hätte er tun sollen, er nimmt an und wird sofort zurück nach Deutschland in eine HJ-Eliteschule geschickt. Dort erhält er eine Ausbildung zum HJ-Führer und steht dabei unglaubliche Ängste aus, als Jude entdeckt zu werden. Schliesslich befindet sich die Schule nur wenige Kilometer von seiner Geburtsstadt entfernt und er muß permanent fürchten, erkannt zu werden.

Perel beschreibt die Gehirnwäsche an den Jugendlichen in der Hitlerjugend: “Jupp wurde zu einem strammen Hitlerjungen”. Er schildert das Zerrissen-Sein in zwei Persönlichkeiten drastisch und schonungslos offen: “Sally hat sich vor Jupp gefürchtet. Er war sein Todfeind! Um zu überleben musste Sally sein eigener Feind werden” und “Jupp, der Nazi hat mich nie mehr verlassen”.

synoptisches portrait
Die Methode des videobasierten „synoptischen Erzählens“ wurde von Friedemann Derschmidt im Rahmen der vom Wissenschaftsfond geförderten Forschungsprojekte Memscreen und Conserved Memories entwickelt.

Im Juli diesen Jahres (2016) wurden jeweils zwei Gespräche zwischen Sally Perel und Friedemann Derschmidt in Deutsch und zwischen Sally Perel und Shimon Lev in Hebräisch geführt. Wobei jeweils einmal mit Salomon dem Juden und einmal mit Josef (Jupp) dem Hitlerjungen gesprochen worden ist. Alle vier Erzählungen werden simultan zu sehen sein.
Die Methode hat Herrn Perel gefallen – könnte sie nicht zuletzt hilfreich sein, seine biografische Zerissenheit in ihren vielen „Dazwischens“ ein Stück weit sichtbar und nahbar zu machen.

Die Arbeit mit Sally Perel ist Teil des Projekts Two Family Archives (Lev, Derschmidt) welches sich der Frage nach der Führbarkeit und Nichtführbar­keit eines Dialoges zwischen Nachfahren von Tätern, Opfern und Mitläufern widmet. Salomon Perel ist mit Sicherheit einer der ganz wenigen Personen, der alle drei Aspekte aus eigenem Erleben heraus verkörpert und besprechen kann: „Ich war Täter und Opfer in einer Person“. Er wird bei der Veranstaltung anwesend sein.
 

Photo (c) Alaa AlKurdi