Exhibition: Kulturzentrum bei den Minoriten Graz 2015

Sorry, this entry is only available in Deutsch.

Sag Du es Deinem Kinde – Nationalsozialismus in der eigenen Familie

von Friedemann Derschmidt

Ausstellung vom 04.03. – 02.05.2015

Link zur Ausstellung

»Über die Jahre und nicht ohne die Hilfe einiger kritischer Mitglieder der Familie habe ich herausgefunden, dass in der Großfamilie ein sehr komplexes Gespinst aus Mythen, Legenden und Lügen über die Vergangenheit und die Generationen der Großeltern und Urgroßeltern gewoben worden war. Ich erkannte, dass auch Menschen, die mir emotional sehr nahe standen, aktiv an dieser Selbstverherrlichung der Großfamilie Teil hatten und teilweise daran bis heute festhalten. Innerhalb dieses Kokons aus Geschichten wurde mir schrittweise immer klarer, dass viele Familienmitglieder aktive und begeisterte Nazis gewesen sind.«

Seit über 25 Jahren beschäftigt sich Friedemann Derschmidt mit Phänomenen rund um seine erweiterte Großfamilie. Oder besser diese Phänomene beschäftigen ihn. Während dieser Zeit entstand eine umfangreiche Sammlung an Dokumenten, Fotos und Videogesprächen. Weit über die eigentliche Zeit des Nationalsozialismus hinaus – also Generationen davor und Generationen danach – wird somit auch die Gegenwart untersucht. Das Projekt »Reichel komplex« stellt die Frage nach ideologischen, sozialen und kulturellen Kontinuitäten in unserer Gesellschaft anhand der eigenen Familie. Man kann es als Modell für viele österreichische und deutsche, aber auch andere europäische Familien sehen, die in den Nationalsozialismus verstrickt waren.

Mit diesem Projekt zeigt das Kulturzentrum bei den Minoriten eine fast unglaublich zu nennende Ausstellung, die bis in die Wurzeln unserer heimischen Existenz verstört und verunsichert – und deshalb so sehenswert ist. 70 Jahre ist es im Frühjahr 2015 nun her, seit die unvorstellbaren Gräuel der Nazis ein Ende haben. „SAG DU ES DEINEM KINDE! Nationalsozialismus in der eigenen Familie“ von Friedemann Derschmidt, Filmemacher, Künstler und Lehrender an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, wird keinen kalt lassen. Es wird eine Geschichte der eigenen Familie erzählt, die meine, die Deine, die Ihre sein könnte. Wie das alles nachwirkt, bis in die dritte, jetzige Generation, die plötzlich zu fragen beginnt, wie das damals war. Und woher das eigentlich kommt, als Familie etwas besonderes sein zu wollen. Es wird gezeigt, wie vor mehr als 100 Jahren der Rassenwahn und die Eugenik wissenschaftlich aufbereitet wurden. Derschmidts Urgroßvater, UProf. Dr. Heinrich Reichel, war dabei auf der Grazer Alma Mater ein führender Experte. Friedemann Derschmidt über seine mehr als 25 jährige Forschungstätigkeit: “Ironischerweise wurde ich zu einer Art Gegenspieler meines Urgroßvaters. Wie in einer Spiegelung mache ich eigentlich genau das, was er verlangte: nämliche Familienforschung zu betreiben. Im Gegensatz zu ihm interessiert mich die genetische Weitergabe innerhalb des von den Euginkern so genannten ‘Erbstroms’ nicht im Geringsten. Ich versuche hingegen, die Weitergabe von Weltanschauungen, Ideologie und politischen Haltungen über sechs Generationen in dieser bürgerlichen Großfamilie zu thematisieren, motiviert durch die Angst, selber ‘ideologische Erbschäden’ erlitten zu haben.”

Es wird umfassend dokumentiert, was schon damals fixer Jargon war. Wie sexy es war, sich – gerade als junge Menschen – diesen Bewegungen anzuschließen. Wie die “geistigen Größen” dabei mitspielten. Gerade in Graz.  Der “Nachfolger” Reichels nach 100 Jahren, Univ. Prof. Wolfgang Freidl von der Med-Uni-Graz, liefert zu diesen Fragen in einem eigenen Raum Forschungsbeiträge. Man erfährt etwa, wie der “Amtsarzt” entsteht – und dessen Urteil über die die Sortierung der “Guten”. Und die Aussonderung der “Schlechten”. Wie die Kinderbeihilfe eingeführt wird – für die, die es richtig machen. Wie die Euthanasie am Ende steht – für die, die für unwürdig zu leben erachtet wurden. Und das millionenfache Morden aufgrund der Rassentheorie. Die Ausstellung ist der gespiegelte Teil jener des israelischen Künstlers Shimon Lev, den wir im vergangenen Juni in einer Personale gezeigt haben. Seit gestern ist er ist wieder bei uns. Im Cubus erzählt er die Geschichte von Derschmidt. Und Derschmidt erzählt die Geschichte Levs: eine harte Kost. Dessen Familienarchiv bestand ja nur aus Spuren, weil alle aus seiner Familie, außer sein Vater, von den Nazis ermordet worden waren. Auch Shimon Lev wird einen Gastbeitrag in der Ausstellung haben: Am berührendsten: Das Bild seiner Tochter, die jener der Großtante des Mädchens so verblüffend ähnlich sind. Doch diese wurde 1944 im KZ ermordet.

Mit Forschungsbeiträgen der Meduni Graz zu Eugenik und Medizin in der NS Zeit (Wolfgang Freidl).

Mit einem Gastbeitrag von Shimon Lev: Der israelische Künstler Shimon Lev widmet sich ebenfalls seit über zwei Jahrzehnten einem Projekt, das sich mit seiner Familie beschäftigt. Levs Projekt »Objects of Memory« war im vergangenen Juni in einer großen Solo-Ausstellung ebenfalls im Kulturzentrum bei den Minoriten zu sehen. Seit 2013 arbeiten beide Künstler im Projekt »Two Family Archives« zusammen.

Kurator: Johannes Rauchenberger

Bookmark the permalink.